Reglement über die Videoüberwachung auf öffentlichem Grund sowie zum Schutz öffentlicher Gebäude (Videoreglement; VR)

Intervention der PdA Bern an der Stadtratssitzung vom 21. Oktober 2010

Es scheint in diesem Rat ein erstaunlich weit verbreitetes Bedürfnis zu geben, sich selber zu bescheiden, zu beschränken, sich letztlich zu entmachten. Mit einer Zustimmung zum Videoreglement würde dieser dunkle Drang einen weiteren Höhepunkt erreichen: Mit diesem Reglement dankt das Parlament ab zugunsten einer Verwaltung, die letztendlich unter die Fuchtel der Polizei gerät. Wer definiert denn wohl, was unter einem sogenannten „Kriminalitätsschwerpunkt“ zu verstehen ist? Wem kommt denn wohl die Definitionshoheit zu, wenn es um die Wahl von Orten geht, „an denen mit Straftaten zu rechnen ist“?

Einige werden mir entgegnen, solche „Kriminalitätsschwerpunkte“ lägen auf der Hand. Und weshalb dann – muss ich zurückfragen – ist die Kantonspolizei bisher ihrem Auftrag nicht nachgekommen? Sicher gibt es angenehmere Aufgaben, als im Milieu der Stänz & Koks seine Runden zu drehen. Ich bin jedoch nicht bereit, auch nur eine Tranche der Öffentlichkeit des öffentlichen Raums herzugeben, während private Kassen weiter munter klingeln. Abfüllen, Aufgeilen, Abzocken, Ausspucken: Wenn Ihnen zu dieser Profitlogik nichts Gescheites einfällt, dann seien Sie doch ehrlich – und verschonen Sie die Stadt mit einem Videoüberwachungsreglement, das wir alle bezahlen müssen: nicht nur mit unseren Steuern, sondern mit unserem Anrecht auf einen urbanen öffentlichen Raum.

In seinem Vortrag preist der Gemeinderat die Kennzeichnung der Überwachungsgeräte an: „Dadurch hat jede Person das Recht, selbst zu entscheiden, ob sie einen überwachten Bereich betreten will oder nicht.“ Ganz grossartig, welches Recht uns da zugestanden wird! Bei solchen Argumenten hört aber der Spass auf und hat der Zynismus längst begonnen. Wenn Sie das Weltkulturerbe wie die Reeperbahn behandeln wollen, dann stecken Sie das Terrain ab und geben die Richtung vor. Und die Tafeln dürfen schon gedruckt werden: „Achtung, Sie verlassen den demokratischen Sektor!“

Als „neuralgischen Punkt“ par excellence nennt die kantonale Videoverordnung explizit: „Massenveranstaltungen“. Das bedarf ja sicher keiner weiteren Erklärung, das ist doch mittlerweile gut eingepaukt. Und nachdem ja Teilnehmerzahlen an Demonstrationen mit schöner Regelmässigkeit von der Polizei zusammengestaucht werden, glauben wir auch zu wissen, welcher „Kriminalitätsschwerpunkt“ als erster avisiert wird: Die Fankultur als Experimentierfeld für gesellschaftliche Überwachung, Kontrolle, Repression. Da wird schon seit einiger Zeit mit der Daumenschraube gepröbelt, da wird munter aufgerüstet, eskaliert und zugeschlagen, dass es jeder Verhältnismässigkeit spottet: Käfighaltung, öffentliche Stigmatisierung und der Pranger im Internet – als ginge es um Schwerst- und Kapitalverbrechen. Und erst einmal rund um die Stadien eingeübt, wird die Routine der Überwachung und Repression flott gemacht für andere Bereiche der Gesellschaft. Nett, was der Gemeinderat da wohl nur raten kann: Zu Hause bleiben!

Nach dem Bahnhofsreglement soll es jetzt also weiter gehen mit dem Videoreglement: weiter in der Akklimatisierung an eine Gesellschaft der Überwachung, Aushorchung und Kontrolle. Wenn die Politik dieser Entdemokratisierung des öffentlichen städtischen Raums nichts entgegensetzen kann, nichts entgegensetzen will, dann werden andere Mittel zur Verteidigung der offenen Stadt gefragt sein. Was wir heute Abend hier auch meinen und sagen und entscheiden – das letzte Wort ist noch lange nicht gesprochen. Wer Misstrauen sät und auf Kontrolle und Überwachung setzt, wird fantasievollen Widerstand ernten. So flexibel funktioniert gelebte Demokratie.

Rolf Zbinden, PdA Bern, 21.10.2010